Kultur der Bürger*innen
Viele Kommunen haben in den letzten Jahren verbindliche Regelungen für eine Beteiligung von Bürger*innen entwickelt. Sie haben erkannt, dass die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung für die Zukunftsfähigkeit des Gemeinwesens entscheidend ist. Eine Betrachtung von Susanne Thoma |
Bereits 2013 hat der Deutsche Städtetag festgestellt, dass eine Aufgabe der Verwaltungen zukünftig immer stärker darin bestehen muss, vorhandene Potenziale von Bürger*innen zu fördern und Prozesse zu moderieren. Gefragt sind dabei neue Formen, die den vermehrten Beteiligungs- und Gestaltungswünschen entgegenkommen und die das Engagement von Bürger*innen wertschätzen. Durch eine neue Kultur der Zusammenarbeit soll sich so die »kommunale Intelligenz« stärker entfalten können.
Drei Beteiligungsverfahren haben wir im Kulturbereich in den letzten Jahren durchlaufen: Theaterlandschaft, Kreativquartier Gaswerk und Augsburger Museen. An allen Verfahren haben Kulturleute intensiv teilgenommen und sich mit viel Herzblut und Kreativität eingebracht. Die Resultate können sich durchaus sehen lassen, die Dokumentationen lesen sich gut. Vielen von uns fehlten aber im Anschluss die breit angelegte, offene und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Beteiligungsverfahren und die Rückmeldung an die Kulturschaffenden. Anne Schuester vom Sensemble-Theater erinnert sich bei unserer Ständigen Konferenz im Januar 2020 an arbeitsintensive Zeiten, in denen sie «viele Tischdecken mit Ideen vollgeschrieben« hat. Inzwischen hat sie eine Allergie gegen diese Beschäftigungsmethodik entwickelt, bei der nicht viel am Ende übrig ist. »Wir bleiben stecken, die Umsetzung fehlt.« Bernhard Klassen von der Club & Kulturkommission geht es ebenso: »Wenn Ergebnisse der Zukunftswerkstätten erst mit einem zeitlichen Abstand von mehreren Jahren zur Verfügung gestellt werden, muss man sich nicht wundern, wenn das Engagement verraucht.« Bernhard Klassen wünscht sich ein deutliches Signal von Politik und Verwaltung, »dass man den Weg der Kreativquartiersentwicklung in Oberhausen zusammen angehen will.«
Echte Partizipation statt Mogelpackung
In der Praxis wurden wir auch deshalb enttäuscht, weil sich der Stadtrat die in vielen Runden erarbeiteten Ergebnisse zu wenig zu eigen gemacht hat. Hat der Kultursoziologe Thomas Wagner etwa damit recht, wenn er Beteiligungsprozesse als Mogelpackungen bezeichnet? Besteht das Ziel der Augsburger Verfahren etwa darin, möglichst reibungslos die zuvor ausgedachten Vorhaben durchzuführen? Haben Politik und Verwaltung die Geheimformel »Bürger*innen früh einbinden« entdeckt, in der Hoffnung, weniger Widerstand zu erzeugen? Sigi Zagler, Herausgeber der DAZ, referiert eine von Thomas Wagners Thesen: »Bürger sind allzu leicht Instrument der Herrschenden, um sich Kompetenz anzueignen und ihre herrschende Position zu verfestigen.« Nehmen wir einmal wohlwollend an, dass in Augsburg keine Simulation der Mitbestimmung vorgesehen ist – zumindest nicht vorwiegend. Und gehen wir davon aus, dass der Dialog auf Augenhöhe von den meisten politischen Kräften gewünscht ist, zugunsten einer echten Partizipation von Bürger*innen an Planungsverfahren. Dann sollten wir schleunigst nach den bestmöglichen Instrumenten suchen. Und keinesfalls nach solchen, die lediglich der Konfliktvermeidung dienen.
Neustart im Stadtrat
Die zum heutigen Abend geladenen Anwärter*innen für den künftigen Stadtrat lassen uns an ihren Ideen teilhaben. Bruno Marcon von »Augsburg in Bürgerhand« beklagt den Verfall der politischen Kultur und Werte. Um verloren gegangenes Vertrauen in politische Institutionen wieder herzustellen, müssten Instrumente geschaffen werden, in denen sich eine Bürgerkultur manifestiert. Mit seiner sozialpsychologischen Sicht bringt es Marcon auf den Punkt: Es geht es nicht nur um ein wenig Beteiligung hier und da. Vielmehr muss an die Stelle eines starren Verwaltungsapparates immer mehr Selbstorganisation von Bürger*innen treten. Dabei ist die Entwicklung in den Stadtteilen elementar. Beim Gaswerk fehlt Marcon – und auch mir – die Einbeziehung der Menschen aus Oberhausen.
Oliver Nowak von der Polit-WG spricht über die Bürgerbeteiligung im digitalen Zeitalter und will die Software »Consult« zum Einsatz bringen, mit der in Madrid und anderenorts erfolgreich gearbeitet wird. Hiermit können Ausgaben für das städtische Budget, Beschlüsse und Aktionspläne diskutiert und Abstimmungen durchgeführt werden. Des weiteren sollen Workshops bei bestimmten Vorhaben statt finden, zu denen ein Querschnitt der Bevölkerung eingeladen ist. Zum Beispiel könnte so ein intelligentes Konzept für leerstehende Räume im Glaspalast gefunden werden. Einen Vorschlag für den Glaspalast hat auch Dirk Wurm von der SPD. Er will über längere Zeit einen Projektraum einrichten, um Konzepte wie für das Römermuseum zu diskutieren und zu entwickeln. Dieser Vorstoß kommt einer Idee des Architekten Christian Z. Müller recht nahe, der schon vor Jahren einen »Plantreff« gefordert hat. Ein Ort sollte es sein, an dem Prozesse, Aktivitäten und Ergebnisse offensichtlich und transparent gemacht werden sowie Bürger*innen vermittelt wird, wie Partizipation möglich ist. Bürger*innen mit Expertise, müssten sich viel mehr einbringen können. Dieser Meinung ist auch Peter Hummel von den Freien Wählern. Er möchte das »Riesenpotenzial« der Stadt zusammen bringen. Jedoch sollte auch der Stadtrat mit eigenen Ideen und Visionen hervortreten. Zum Potpourri der Instrumente gehört noch der Vorschlag der CSU, mehr politische Teilhabe und Engagement durch Stadtteilparlamente und Stadtteilkulturbeauftragte zu ermöglichen. OB-Kandidatin Eva Weber, die bei unserer Konferenz nicht anwesend war, hat sie auf die politische Agenda gebracht. Die Stadtteilbewohner*innen wüssten selbst am besten, welche Themen ganz oben auf ihrer unmittelbaren Agenda stehen, heißt es im Wahlprogramm.
Koordiniert
Den umfassendsten Vorschlag am heutigen Abend macht Verena von Mutius von den Grünen. Ihre Partei will ein Büro für Beteiligung einrichten und einen Koffer mit vielfältigen Methoden erarbeiten, die je nach Bedarf zum Einsatz kommen. Wichtig ist ihr auch, dass bisher wenig erreichte Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Migrant*innen gezielt angesprochen werden. Büros für Beteiligung gibt es unter anderem in Berlin-Mitte, Bochum oder Potsdam. Bürger*innen können sich dorthin wenden, wenn sie mehr über einen Beteiligungsprozess oder ein aktuelles Vorhaben der Kommune erfahren oder eigene Verfahren anstoßen möchten. Die Fachämter innerhalb der Verwaltung werden bei der Konzeption und Durchführung von Beteiligungsverfahren unterstützt. Dabei wird die Arbeit idealerweise durch einen Fachbeirat flankiert. Er evaluiert zum Beispiel alle Prozesse.
Das alles klingt doch ganz vielversprechend. Dann sollte es an einer klaren politischen Willensbekundung in Form eines Stadtratsbeschlusses nach dem März 2020 als Bekenntnis zu mehr Beteiligung von Bürger*innen nicht scheitern. Als Teil der Lokalen Agenda 21 steht die Ständige Konferenz der Kulturschaffenden für Runde Tische zur Verfügung, um ein kommunales Regelwerke zu erarbeiten. Wir stehen in den Startlöchern, um die kommunale Intelligenz zu bündeln – hin zu einer Kultur der Bürger*innen.
Die Veranstaltung fand im Rahmen der Lokalen Agenda 21 für ein zukunftsfähiges Augsburg statt. Foto: Susanne Thoma